Mein Cello!!!!!!!!!!!!!

Bloss eine Frage....

 

Am  25. Januar 1951 (ich war genau 14 Jahre und 3 Monate alt) stellte die Frage meines Singlehrers mein ganzes Leben auf den Kopf.

 

„Hättest du Lust, Cello zu spielen?“ Er sagte, dass die Schule das Cello zur Verfügung stellen würde, meine Eltern jedoch müssten die Stunden am Konservatorium bezahlen. Er sagte noch was von einem Jubiläumsanlass der Schule, das Schulorchester bräuchte ein Cello.

 

Wie kam der auf mich? Ich spielte ja Akkordeon, und überhaupt, ich stand auf Kriegsfuss mit ihm.

Nein, niemals, nie nimmer würde ich Cello spielen wollen! Das war mein erster Gedanke. Aber ich wusste ja nicht einmal, was ein Cello ist. 

 

Regelmässig flog ich raus aus dem Unterricht (im Zeugnis standen da auch so Bemerkungen: „schwatzhaft, stört den Unterricht, unruhig“. Dennoch schrieb meine Klassenlehrerin getreulich ihren Gesamteindruck hin beim Betragen: „gut“. (Bei ihr war ich ja auch brav).

 

Meine Mutter lehrte mich: Wann immer du etwas lernen kannst, musst du die Chance packen. Ich dürfe dem Lehrer zusagen. Cello sei ein ganz schönes Instrument.

Langsam erwachte meine Neugierde. So eine unmögliche Schülerin konnte ich doch nicht sein, wenn dieser Lehrer ausgerechnet mich aus so vielen Mädchen auserkor!

Ich brannte nun darauf zu erfahren, was für ein Instrument das Cello sei.

 

Bald war es so weit: Ich durfte das Cello beim Singlehrer abholen. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich so ein Instrument. Eine Riesengeige also. Sorgfältig packte er es mitsamt dem Bogen in eine Hülle, und ich ging mit der kostbaren Fracht nach Hause, bemüht, allen möglichen Hindernissen respektvoll aus dem Weg zu gehen. Er schärfte mir ein, ein Schlag auf den Steg würde das ganze Instrument zertrümmern. Diese Schreckensvorstellung sitzt mir noch heut im Nacken! Ich hüte mein Cello wie eine Henne ihre Kücken!!!

 

Neuer Lebenssinn

 

Ein neuer, ein prägender Lebensabschnitt begann. Ich tauchte ein in eine neue Welt, in einen faszinierenden, unerschöpflichen Reichtum, mir schien, als ob mir ein Schlüssel zu einem bis anhin verschlossenen Märchenland in die Hand gegeben würde.

 

Der Lehrer war nun für mich wie ein Märchenprinz. Ich verehrte ihn!! Und von da an verschwanden die Bemerkungen im Zeugnis, ich war nicht mehr schwatzhaft, machte keinen Unfug im Unterricht, das Cello als mein steter Begleiter erfüllt all meine Sehnsucht nach „jemand“ sein. Ich musste nicht mehr mit „laut sein“ auf mich aufmerksam machen.

 

Schon zur Adventszeit konnte ich mit dem Schulorchester die ersten Weihnachtslieder begleiten, und an Vortragsübungen spielen. Mein Bedürfnis nach „auch dazu zu gehören, Beachtung und Anerkennung zu finden“ war mehr als gestillt.

Statt herumzustreunen und mit den Buben auf der Strasse Fussball zu spielen, übte ich hingegeben auf meinem Cello, machte treu Schulaufgaben und war einfach glücklich.

 

Auch meine Cellolehrerin liebte ich heiss, hörte ich doch immer wieder Lob und Anerkennung. Sie verbarg auch nicht ihr Staunen über meine Riesenfortschritte. Schnell merkte sie, dass ich für Musik und speziell für dieses Instrument Begabung und Begeisterung mitbrachte.

 

Leider erkannte ich das alles erst viel später und auch zu spät. Auch hatte ich nicht die nötige Durchschlagskraft, um nach der aufgezwungenen kaufmännischen Lehre im Anwaltsbüro und dem

Sprachaufenthalt in England, das Musikstudium am Konservatorium ernstlich anzupacken. Obwohl ich mir das sehnlichst gewünscht hätte, fehlte mir das gewisse „etwas“, mich durchzusetzen.

 

 

Ohne Cello - NEU: Klavier!

 

Das Cello konnte ich nicht mitnehmen nach England. Das war 1956. Doch hatte die Lady einen Flügel. Wenn ich mit den Haushaltsarbeiten (die ich natürlich auf ein Minimum reduzierte) fertig war, setzte ich mich an den Flügel. Alles um mich herum vergessend, versuchte ich zu spielen – meine alte Sehnsucht nach Musik erwachte. Mrs. Davies war es wohl leid, meine Versuche anzuhören und meldete mich an bei der Royal School of Music. Nun war wieder so ein Höhepunkt, der Unterricht bei Mrs. Cherrington! Ich übte mit Hingabe die Tonleitern, Arpeggi und die einfachen Vortragsstücke. Eigentlich bewundere ich noch heute die Geduld meiner Landlady.

 

Mein Wunsch, Klavier zu spielen - den ich schon als 3jährige hatte - erfüllte sich! Das half mir auch hinweg über den Frust an dieser Haushaltstelle mit den 3 Kindern und dem Heimweh. Ich fand den Anschluss nicht, mein Englisch war dürftig (ich kann Sprachen schwer nur vom Hören lernen) und überhaupt fand ich es daneben, mit meinem erfolgreichem Lehrabschluss als Verwaltungsangestellte nur als Haushaltshilfe zu arbeiten. Vom Haushalt verstand ich ohnehin wenig – alles war mir recht zuwider.

 

Schon nach 3 Monaten konnte ich die II. Stufe der Grundschule mit Erfolg bestehen und erhielt eine Anerkennungskarte. Wegen dem Suezkrise bedrängte mich die Mutter die Stelle zu kündigen und nachhause zu kommen. Der Krieg nahm bald ein gutes Ende, es war nicht nötig das Land zu verlassen – doch ich blieb bei der Kündigung. Meine Mutter meldete mich bei der Sprachschule in Bournemouth an. 

 

Das Klavierspiel war leider zu Ende, doch der Grund war gelegt, damit ich dann mit 42 Jahren auf diesem Fundament aufbauen konnte. Ich brachte es sogar so weit, dass ich im Gottesdienst Lieder und Chorusse begleiten konnte. 

 

Das Cello jedoch erlebte manche Durststrecke, abgestellt, unbeachtet. Es gab Jahre, wo ich es nicht anrührte.

 

Es gab auch DAS grosse Tief in meinem Leben - bis DIE WENDE kam.

 

In tiefster Depression wegen der Ehescheidung ergriff ich endlich die dargebotene Hand von Jesus Christus, unserem HERRN und Erlöser.

Ich bekehrte mich! Und fand Heilung für meine Seele und neuen Lebensmut.

 

 

Singen und Akkordeon

 

Mit 50, als ich einen Beinbruch erlitt, nahm ich das Akkordeon nach Jahren wieder hervor und begann zu spielen und zu singen.

 

Mit einer Freundin, die 2. Stimme sang, gingen wir in Altersheime, Spitäler oder auch in abgelegenen Stübchen um Menschen mit unseren Liedern zu erfreuen. Auch an Hochzeiten oder Beerdigungen bat man uns zu singen. Ich kaufte mir gar eine Bernertracht und fühlte mich darin wohlig patriotisch.

  

 

Mit 70 noch Blockflöten lernen!

 

Ich fand heraus, dass auf Fundamente, die in der Jugend gelegt werden, in späteren Jahren aufgebaut werden kann. Mit 70 kaufte ich mir eine Blockflöte und das wenige, das ich mir als Kind selber auf der Flöte beibrachte, konnte ich mit Ausdauer und Dranbleiben so weit vermehren, dass ich nun ab Noten oder auch aus dem Herzen frei und mit viel Freude spielen kann.

 

Klar braucht es Ausdauer, denn die Fingerfertigkeit ist nicht mehr dieselbe wie bei jungen Menschen. Aber was macht’s? Wenn es nach 10 Mal nicht geht, mache ich es 20 Mal, wenn es immer noch nicht geht 50 oder 100 Mal. Dranbleiben, Ausdauer, Geduld, das habe ich inzwischen in meinem Leben gelernt. So schnell gebe ich nicht mehr auf.

 

  

Lobpreis und Anbetung mit dem Cello!

 

In der Freikirche, die ich ab 1978 regelmässig besuchte, begleitete ich die 4sätzigen Pfingstjubel-Lieder. Das war eine gute Übung ab Blatt in allen möglichen und unmöglichen Tonarten zu spielen. Es half mir auch, Hemmungen zu überwinden. 

Ich spielte in einem Kammer-Ensemble und die Adventskonzerte.die wir in den verschiedenen Gemeinden gaben, sind auf Tonband noch heute eine Erbauung anzuhören.

  

Sogar nach Israel, an das 1. Laubhüttenfest (1980), das von der christlichen Botschaft Jerusalem organisiert wurde, nahm ich mein Cello mit. Peter van Woerden leitete die Musikgruppe. Auch mein Sohn durfte mitkommen.

Damals erwachte mein sehnlichster Wunsch, nicht nur nach Noten, sondern frei aus dem Herzen Lobpreislieder zu spielen.

  

Ich liess nicht locker, übte eifrig und in allen Tonarten das freie Spielen. Seit ein paar Jahren nun habe ich das Ziel erreicht, das ich mir so sehr gewünscht hatte: Ab meinem Herzen und frei spielen zu können.

 

Ein besonderer "Test" war Januar 2008,  an der Trauerfeier meiner Freundin Vreni frei zu spielen. Sie hatte mich schon mit meinem Cello ins Spital bestellt, ich solle ihr vorspielen.

Ich überwand all meine Hemmungen, in diesem Sterbezimmer mein Herz durch das Cello sprechen zu lassen.

Das schönste Kompliment war dann zu hören:

„So, nun ist meine Seele wieder gestärkt. Nun habe ich wieder Nahrung… Mir ist wohl!“

 

Mein Cello!! 57 Jahre begleitet es mich nun schon. Könnte ich die Stunden zählen, die ich mit ihm zusammen verbrachte! Kann ich je ermessen, was es in mir erwirkte und wie es mein Leben prägte? Und mit wie vielen lieben Menschen ich dadurch zusammentraf!

  

Wie lange ich nun noch spielen kann, wer weiss es. Mit Freude und Begeisterung übe ich möglichst täglich und das Spiel erquickt mein Herz! Wahrscheinlich hält die Disziplin und Freude am "Dranbleiben" auch die „grauen“ Gehirnzellen fit. Jedenfalls fühle ich mich immer noch „jung“, auch wenn mein Äusseres anderes aussagt.

 

Ich bin sehr, sehr glücklich und voller Dankbarkeit, dass mir dieses  Cellospiel ermöglicht wurde! Wie anders wäre wohl mein Leben verlaufen...

Singen und spielen mit Paul
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Anbetungstreff im KIZ
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